Gringo
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Gringo
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Ich bin mit einer Epilepsie groß geworden. Dann folgten 19 anfallsfreie Jahre. Schließlich, vor 3 Jahren erlitt ich an einer Bushaltestelle einen komplex-fokalen primär generalisierten Anfall. Immer häufiger kamen epileptische Drop-Attacks dazu, schließlich über weite Strecken des Tages. Sie wurden auch immer intensiver und störten meinen Bewegungsablauf. Zwischendurch erlitt ich Konfusionen und merkte, daß die langen Drop-Attacks zu Stürzen führten und im Zusammenhang mit Photosensibilität standen, während die kurzen einfach nur unangenehm waren. Meine zweitjüngste Schwester hatte als Kind eine zeitlich beschränkte Epilepsie und ein Cousin von mir eine schwere mit häufigen Grand-Mal- Anfällen. Er lebt jetzt seit 10 Jahren anfallsfrei. Auch sonst hatte ich immer wieder Freunde mit Epilepsie. Vor vier Jahren begann ein Epileptiker im gleichen Betrieb zu arbeiten, in dem ich arbeitete. Vor 3 Jahren kam er in unsere Familie in einer Notlage. Er fuhr aufgrund falscher Medikamentierung psychische Achterbahn und hat eine ganze Palette von Anfallsformen, überwiegend aber komplex-fokale Anfälle. Er wohnte eine Zeit mit uns und es entwickelte sich eine Freundschaft. Ich stürzte mich frontal ins Neurologiestudium und führt ihn aus seinerm Zustand heraus in den Zustand eines mündigen Menschen. Wir nennen ihn "unseren arabischen Adoptivsohn", weil er aus dem Libanon kommt. Heute wohnt er selber in einem Zimmer an seinem Arbeitsplatz, geht aber 2-3x pro Woche bei uns ein und aus und verbringt jeden Sonntag mit uns.
Unser Pawnee, ein weißer Schäferhund, starb im Alter von 10 Jahren an Kreislaufschwäche im Oktober 2004. Die Trauer war groß und auch heute krampft es mir noch das Herz zusammen, wenn ich an ihn denke. Da wir in die Zivilisation gezogen sind, beschlossen mein Mann und ich unisono, aber mit halbem Herzen, niiiiie mehr einen Hund zu haben. Wir brauchten es nicht auszusprechen: Keiner glaubte dem anderen dieses "Gelübde". Drei Monate nach Pawnees Tod eroberte eine junge Huskyhündin Ramons Herz im Sturm. Auch ich fand das Mädel ganz charmant, war aber noch zu sehr mit Pawnees Tod beschäftigt, als daß ich ihr mein Herz hätte verschenken können. Sie war ein Sozialfall wie alle Hunde, die wir bisher hatten. Als ich sie zwei Monate später erstmals von der Leine ließ, büxte sie nach ein paar Anstandsmetern an meiner Seite aus und rannte postwendend zu den Kindern nach Hause, die sie immer wieder spazierengeführt hatten. Als die (vaterlose - der Vater hat die Kinder schwer sexuell mißbraucht und sitzt jetzt im Gefängnis) Familie Familienrat gehalten hatte wegen "Inca", wie wir sie nannten, hielten sie bei uns um ihre Pfote an. Wir konnten nicht nein sagen, denn wir hatten inzwischen erlebt, wie kinderverrückt diese Lady war. Sie würde dort einen Quantensprung an Lebensqualität erfahren, denn Kinder konnten wir ihr nicht mehr bieten. Zudem wirkt sie wie eine Therapie für die Kinder, die im Umgang mit den Tieren ihr schreckliches Trauma verarbeiten können. Sie haben auch einige Meerschweinchen von uns seit 2 Jahren und hegen sie mit Hingabe. Wir haben es nicht bereut. Da sie in der Nähe wohnen, sehen wir sie praktisch jeden Tag. Inca macht zwar immer noch ihr eindrucksvolles Begrüßungs-Heul-Konzert, wenn sie unser ansichtig wird, läuft dann aber selbstverständlich mit den Kindern mit, wenn sich die Begrüßung totgelaufen hat.
Das war im März gewesen. Wieder einmal schworen wir uns, einander die Lüge im Auge sehend, daß wir keinen Hund mehr haben werden. Und dann wollte Ramon "einfach mal wieder Weiße-Schäferhund-Luft schnuppern, und so fuhren wir zu unserem Züchterfreund, der die beiden Blutlinien von Martin und somit auch unsere integriert hatte. Er war nicht Zuhause, wir brannten also an. Gegen Abend fuhren wieder nach Hause und suchten seine Homepage im Internet auf, um zu schauen, was sich so tut. Wir surften ein wenig drin herum. Mich interessierte der Link "Zum Nachdenken" und "Weiße Schäferhunde in Not". Mein Mann verließ den Raum, weil das viel Zeit in Anspruch nahm und ich geriet auf den Link "Familienlos" von Biggi. Ich nenne sie jetzt einfach so, weil ich gerade nicht weiß, wie sie heißt und ich sie ja auch nicht kenne. Da war er, der Notfall des Monats März, Ringo, seines Zeichens Epileptiker. Obwohl es Juli war. Ich fragte anderntags nach 2 Mails vom Büro aus - ich bin Geschäftsführer einer kleinen Versandbuchhandlung - im Tierheim Wiesbaden an, ob sie auch Hunde in die Schweiz vermitteln würden. Die nette Frau Grunert sagte, eigentlich nicht, weil das etwas weit sei und sie doch die Plätze sehen wollen. Dann fragte ich, ob Ringo noch bei ihnen sei, denn ich hätte mich in ihn verliebt. Ja, der sei noch bei ihnen. Aber ob ich denn nicht gesehen habe, daß er Epileptiker sei? Dochdoch, das sei auch der ausschlaggebende Grund, warum ich auf ihn komme. Ich outete mich als Epileptiker und sagte ihr, er käme in hundeerfahrene und auch für die Epilepsie kompetente Hände, wenn sie bereit wären, ihn in die Schweiz zu geben. Ja doch, den Ringo würden sie überallhin vergeben, weil der arme Kerl doch keine Chance hätte, vermittelt zu werden. Ich hatte keine Ahnung, wo Wiesbaden liegt, so fragte ich, wie lange man denn fahren müsse von der CH zu ihnen. Nun ja, etwa 8 Stunden. Vielleicht etwas weniger. Liegt Nähe Frankfurt. Ich sagte, dann möchten wir nur einmal fahren, d.h., wenn wir kommen, würden wir Ringo gerne gleich mitnehmen. Sie erklärte sich damit einverstanden. Die Reisepapiere seien kein Problem, er habe alle Impfungen und sei gechipt. Dann machte ich meinem Mann ein Mail ins Geschäft, ob er an einem der nächsten Wochenenden Lust hätte, mit mir ein paar Tage in Frankfurt und Umgebung zu verbringen. Oder ob meine Idee zu spontan sei. Er wollte wissen, warum ich auf so eine Idee käme. Ich gab ihm den Internetweg zu Ringo an und sagte, er solle selber schauen. Ich wollte ihn keineswegs beeinflussen. Es war Donnerstag. Er suchte und fand. Und rief mir eine Viertelstunde später an. Ich soll anrufen im Tierheim, ob er noch zu haben sei - er ist! - und ob es möglich sei, daß wir dieses Wochenende - waaaas? Ich dachte, ICH sei spontan, aber mein Mann überrascht mich auch nach 20 Ehejahren noch immer wieder mit seiner noch sponataneren Art! Und er, der Pragmatiker von uns beiden, hatte auch bereits via Internet ausgerechnet, wie lange man fahren muß, nämlich nur vier Stunden. Nun, ich rief an und die ebenfalls sehr nette Frau Mindrup am anderen Ende der Strippe fragte den Heimtierarzt, Herrn Skorek, sicherheitshalber, ob die Papiere genügten für eine Ausreise. Er meinte, es sei alles i.O., wir könnten Ringo eigentlich jederzeit ausführen. So fieberten wir dem Samstag entgegen und fuhren am Morgen um 05.15 los. Ich hatte kaum geschlafen, nur zweieinhalb Stunden. Das ist Gift für die Epilepsie! Sobald es hell wurde, bekam ich Schwierigkeiten, aber ich zeigte meinem Mann ein Pokerface, denn auch er hatte kaum geschlafen und war mit Kopfschmerzen aufgestanden. Im Tierheim beachtete ich die anderen Hunde nicht. Herr Skorek, der uns zu den Zwingern brachte, erzählte uns noch von einem anderen "Weißen", einem Langstöckigen. Ich wollte nichts sehen, keine anderen Hunde, schon gar keine "Weißen", denn als ich Gringo sah, störte er mein Ästhetikempfinden sofort und ich wußte, es durfte keine Option geben für ihn, kein Schönerer sollte ihn ausstechen können. Ringo war hypernervös und äußerst heftig. Frau Wilhelmi führte ihn durch die Reihen zum Ausgang des Zwingerhofes. Vielleicht wirkte ich etwas desinteressiert und distanziert, aber ich hatte gerade einiges mit meinen Problemen zu tun (ich hatte epileptische Drop-Attacks, eine pro Sekunde, dann wirke ich etwas abwesend, auch wenn ich voll da bin und man mir äußerlich nichts anmerkt). Es war viel Betrieb. Ringo wurde auf eine eingezäunte Wiese geführt und wir spielten einige Minuten mit ihm. Dann sagten wir, wir möchten den Aufenthalt in Deutschland natürlich noch zum günstigen Einkauf nutzen und würden aber noch vor dem Mittag wiederkommen, um Ringo abzuholen und den Vertrag zu unterschreiben und was sonst noch zu tun ist. Die Hitze war bereits sehr schlimm. So ließen wir den uns nachweinenden Hund auf der Wiese, dort hatte er Schatten von den Bäumen. Ja, er war unser neuer Liebling. Wir ordneten sein Ungestüm und seine hochgradige Nervosität dem Streß zu, den er hatte. (Die Zeit gab uns recht: Heute ist er die Ruhe selbst!) Kurz vor Mittag kamen wir ins Büro und erledigten dort den Papierkram. Der "Internationale Impfausweis" kam mir seltsam vertraut vor. Doch, das genüge, es brauche kein Arztzeugnis mehr. Bald wurden die Kopfschmerzen meines übermüdeten Mannes derart stark, daß ich das Auto lenkte. Die Heimfahrt wurde zur Tortur. Ich erlitt einen sekundenkurzen stärkeren Anfall am Steuer, doch es geschah nichts. Ich fand mich auf dem Pannenstreifen wieder. (Ich bin fahrtüchtig, weil meine Anfälle sehr kurz sind und ich immer sehr großen Abstand von mindestens 2 Sekunden zum Vordermann einhalte) Bei Stuttgart verfuhr ich mich zu allem Übel auch noch. In den Pausen wollte Ringo vor Nervosität nicht einmal das Bein heben. Den Durst stillte er in den Lavabos der Raststätten-Toiletten, indem ich das Wasser laufen ließ und mit der Hand den Abguß zuhielt, so daß sich das Becken füllen konnte. Ich brauchte ihm nichts zu erklären, er sprang hoch und trank gierig. An der Grenze winkte man uns durch, obwohl wir einen derart großen Glücksdrachen im Fond mitführten, unübersehbar für jeden Grenzer. Gott war mit uns, nur so konnten wir uns das erklären. Im Moment waren wir einfach froh, keine weiteren Umtriebe zu haben, damit wir schnellstmöglich nach Hause kamen. Dann vereinbarte ich mit meinem Veterinär einen Termin - aufgrund eines Anfalls am Telefon bekam ich den Tag nicht mit, die Uhrzeit aber schon - und erschien einen Tag zu früh mit Ringo - inzwischen Gringo, da wir ihn aus dem Ausland haben - in der Praxis, den Impfausweis in der Hand. Die Sprechstundenhilfe fragte mich, wie wir es geschafft hätten, über die Grenze zu kommen. Dann zeigte sie mir den EU-Tierpaß, der wie ein Menschen-Paß aufgemacht ist, wo aber auch alle Impfungen eingetragen sein müssen. Das war mir völlig neu. DARUM kam mir der Impfausweis so vertraut vor! Der Tierarzt hatte offenbar von den neuen Bestimmungen nichts gewußt! Ich klärte die lieben Leute im Heim umgehend per Mail darüber auf. Ringo lebt sich hervorragend ein. Morgens um drei stehen wir auf und vertragen Zeitungen. Um halb sieben sind wir damit fertig.Vieles muß ich mit dem Auto machen, aber es gibt noch genug Fußarbeit. Dann nach Hause, erst mal Garten gießen und die Meerschweinchen auf die Weide lassen - Gringo, diese Jagd-Wildsau muß im Haus warten, bis ich die Tiere draußen habe. Dann ist es etwa sieben Uhr, mein Mann verläßt das Haus und geht zur Arbeit und wir nehmen unsere Medikamente. Und dann ist erst mal 3 Stunden Schlafen angesagt. Der Rest des Tages gestaltet sich dann jeden Tag anders. Gringo fügt sich nahtlos ein. Auch er schläft neben meinem Bett, wie vormals Pawnee. Er zeigt Talent und Begeisterung für Agility. Jetzt hat der Agility-Club Sommerferien, weil viele Leute in den Ferien sind, aber gegen Ende August geht's los! Wir sind wieder eine Familie mit Hund. Nur so fühlen wir uns offenbar vollständig. ☺

Am 28. Januar 2006 mußte Gringo wegen einem weit fortgeschrittenen Krebsleiden eingeschläfert werden.

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Danke Gringo
Wie der Wirbelwind bist Du durch unser Leben gedüst, hast es in Beschlag genommen und uns viel Spaß und Deine unerschütterliche Treue geschenkt

Du warst so eine Frohnatur, daß Du keine Schmerzen zeigtest, als Du bereits gelitten hast

Bis zu Deinem letzten Atemzug waren wir Dein ausschließlicher Lebensinhalt abgesehen von den Katzen, Bäumen, der "Stachelhantel", den Buddellöchern und all den kulinarischen Freuden des Alltags

Du hast unser Haus eifrig bewacht,Dir entging nichts, keine Fliege durfte sich in unsere heiligen Hallen verirren

Dein wahnsinniges Temperament und Deine enorme Verspieltheit fehlen uns schon, kaum hast Du die Augen für immer geschlossen

was Du in meinen Armen tatest - versuchtest noch, auf meinen Schoß zu springen, um mir näher zu sein.
Stürmisch hast Du meine Tränen abgeleckt, als wollest Du mich trösten und meinen Blick auf die Freuden des Lebens lenken doch jetzt krampft sich mein Herz dunkel und schmerzhaft zusammen, weit weg von allen Freuden und die Tränen rollen und werden nicht mehr weggeleckt von Dir

Ein kleiner Trost - wie ein Tropfen auf einen heißen Stein: Für Dich war es eine Erlösung

Eines Tages werden wir uns wiedersehen,dort, wo es keine Tränen mehr gibt, keinen Schmerz, kein Leid und keinen Tod

Gaby (Schreiberin) und Ramon

 

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