Perry

Ich heiße Perry (eigentlich Perdita, aber das fanden meine Zweibeiner nicht so schön) und bin wahrscheinlich 2000 auf die Welt gekommen.

Perry

Geboren bin ich auf einem Dachboden und habe dort etwa zwei bis drei Jahre mit 22 anderen Hunden gelebt, bis der Tierschutz uns dort rausholte. Dann habe ich noch ein Jahr im Tierheim verbracht, bevor Felix und seine Zweibeiner mich zu ihnen nahmen. Ich kannte nichts von der Welt und bin sozusagen ein richtiger kleiner Kaspar Hauser.

Vor Menschen und fremden Hunden hatte ich Angst; deshalb habe ich Felix erstmal die Zähne gezeigt, als Iris und Jürgen zum ersten mal mit ihm in das Tierheim kamen, um mit mir Spazieren zu gehen. Aber er ließ mir Zeit, mich an ihn zu gewöhnen und Vertrauen zu ihm zu fassen. Iris und Jürgen waren mir ziemlich unheimlich, aber da sie nett zu mir waren und mir immer wieder Leckerlies anboten (die ich leider vor lauter Aufregung nicht fressen konnte), ließ ich auch ihre Berührungen über mich ergehen obwohl ich es eigentlich nicht mochte wenn Menschen mich anfaßten. Am Anfang sind wir nur zusammen spazieren gegangen, aber das war auch schon aufregend genug. Wenn man so viel Angst hat und dabei gleichzeitig so neugierig ist wie ich, dann sollte man möglichst nach vorne, hinten, rechts und links genau den Überblick bewahren. Die beste Methode dafür ist eine Drehung, spätestens alle zwei bis drei Schritte. Weil man so aber nur sehr langsam vorankommt, sollte man zwischendrin immer wieder einmal ein ordentliches Stück rennen. Einzig störend dabei ist die Leine, die sich regelmäßig verknotet. Dazu mochte ich bei Spaziergängen nie umkehren. Ich wollte doch wissen wo die Welt zu ende ist, schließlich war meine Welt auf dem Dachboden doch auch zu ende. Jetzt weiß ich das die Welt doch größer als ich dachte ist und ich kehre um wenn meine Zweibeiner es sagen.

Nachdem wir einige male auf diese Weise spazieren waren, holten sie mich dann für einen ganzen Tag. Ich war noch nie in einem Haus, in dem Menschen wohnen, und es war sehr merkwürdig. Im Eingangsbereich ist ein Spiegel - so was hatte ich noch nie gesehen. Den ersten Tag verbrachte ich also im Flur, schaute abwechselnd durch die Haustür raus und mich im Spiegel an. Als sie mich dann am nächsten Tag wieder mitnahmen, bin ich schon in das erste Zimmer mitgegangen. Da war eine Decke auf dem Boden und ich habe mich sofort daraufgelegt und bin eingeschlafen. Zum ersten mal in meinem Leben hatte ich Ruhe und Geborgenheit... Deshalb wollte ich später auch nicht zum Spaziergang mit, obwohl ich mal mußte. Beim nächsten Besuch sah ich dann zum ersten mal eine Treppe. Ich wäre Felix gern nach oben gefolgt, aber ich konnte auf diesem komischen Ding nicht laufen und bin prompt von der vierten Stufe wieder heruntergefallen. Beim nächsten Spaziergang haben wir es dann draußen mit der Treppe zur Brücke über die Bahngleise geübt und ich habe es gleich beim ersten Versuch geschafft, weil ich einfach Felix gefolgt bin. Als ich bemerkte, daß ich auf einer Treppe war, waren wir schon fast oben - und da ich nicht erst recht nicht wußte, wie man so ein Ding runter läuft, bin ich lieber weitergegangen. Inzwischen kann ich Treppen richtig gut laufen, wenn auch meistens mit zu viel Tempo.

Vom ersten Tag an habe ich mir sehr viel Mühe gegeben, mich gut in mein neues Rudel einzufügen. Dazu habe ich Felix immer ganz genau beobachtet und mich an ihm orientiert. Durch ihn habe ich gelernt, wie schön es sein kann, mit Menschen zu kuscheln oder sich abtrocknen zu lassen, denn zuerst fand ich es schrecklich wenn Menschen mich angefaßt haben. Er hat mir auch gezeigt, daß man auf seine Zweibeiner hören und tun sollte, was sie von einem verlangen. Allerdings hat es doch ein paar Wochen gedauert, bis ich begriffen habe, daß sie mich meinen, wenn sie “Perry” sagen. Danach habe ich dann aber sehr schnell gelernt, was die einzelnen Befehle bedeuten - ich habe einfach geschaut, was Felix gemacht hat und habe es ihm nachgemacht. Als allererstes habe ich “Sitz” gelernt und war ganz stolz, weil ich plötzlich wußte, was Jürgen von mir wollte! Die nächsten Befehle waren Platz, Komm, Nein, Langsam und Dreh dich um (beim abtrocknen). Und inzwischen kann ich schon ganz schön viel.

Überhaupt Felix: er ist der beste Freund, den man nur haben kann. Man kann prima mit ihm schnüffeln gehen und wenn es Ärger gibt, verteidigt er mich sofort. Wenn mir etwas unheimlich ist, wie z.B. ein Fußgängertunnel, dann schaue ich immer zu ihm, ob er auch Angst hat. Bleibt er gelassen, beruhigt mich das. Wäre Felix nicht gewesen, hätte ich Iris und Jürgen bestimmt nicht so schnell vertraut und alles wäre sehr viel schwieriger gewesen. Am allerschlimmsten aber war Auto fahren. Da regte ich mich so sehr auf, daß ich schon beim Einsteigen tropfte; spätestens nach einem Kilometer mußte ich spucken. Trotzdem wollten die Zweibeiner einfach nicht aufgeben und übten immer weiter mit mir.
Wir haben dann oft einfach nur im Auto gesessen und für Felix und mich gab es ein Schweineohr. Dann sind wir ganz kurze Strecken gefahren, und jetzt steige ich richtig gerne ins Auto und finde es auch auch klasse wenn wir in den Wald fahren. Aber es hat zwei Jahre gedauert denn bei mir geht alles sehr langsam.

Ansonsten bin ich aber ein sehr hilfreicher Hund, der sich meistens bemüht, alles richtig zu machen. In den ersten Tagen hatte ich mir Blasen an einer Pfote gelaufen, weil ich so lange Spaziergänge doch noch nicht gewohnt war. Ich habe dann einen Verband bekommen und mußte draußen einen Schuh anziehen. Schon am zweiten Tag hatte ich das verstanden, und wenn meine Zweibeiner mit dem Schuh kamen, habe ich mich auf den Rücken gelegt und die Pfote hochgehalten.

Von Felix habe ich letztendlich auch den Umgang mit diesem komischen schwarz-weißen Tier (sie nennen es Katze) gelernt. So etwas war mir noch nie begegnet und ich habe sie natürlich sofort weggejagt, als sie vorsichtig um die Ecke schaute. Das hat sie aber wenig beeindruckt und die Zweibeiner haben geschimpft. Nachdem das noch ein paarmal passiert war, habe ich bemerkt, daß Felix Respekt vor diesem Tier hat, es konnte also nicht so harmlos sein, wie es wirkte. Und tatsächlich, ein paarmal hat sie mich kräftig angefaucht. Danach machte ich lieber einen Bogen um Dodo und ließ sie in Ruhe. Allerdings haben mir meine Zweibeiner etliche Monate lang nicht so recht getraut; am Anfang mußte ich an der Leine bleiben, wenn die Katze in der Nähe war, später wurden wir nur zusammengebracht, wenn Iris oder Jürgen mit im Raum waren und aufpaßten. Inzwischen habe ich begriffen, daß die Katze zur Familie gehört. Sie darf gelegentlich an mir schnuppern und auch ich habe schon einmal vorsichtig an ihr geschnüffelt, auch wenn sie dabei etwas protestiert hat.

Felix_Perry

Schnell begann dann aber auch für mich der Ernst des Lebens. Da ich vor fremden Hunden Angst hatte, kam eine Hundetrainerin für Problemhunde (eigentlich eine Frechheit - ich ein Problemhund!) zu uns nach Hause. Antje Tilsner half Iris und Jürgen, mich besser zu verstehen und mir die wichtigen Dinge im Leben beizubringen. Wenn ein fremder Hund auf der anderen Straßenseite war habe ich mich fürchterlich aufgeregt und versucht ihn zu vertreiben. Das fanden unsere Zweibeiner überhaupt nicht witzig, aber es hat ja immer geklappt, sie sind nie rüber gekommen. Aber mit der Zeit habe ich auch das gelernt und jetzt rege ich mich nur noch auf wenn der andere Hund größer ist und zeigt das er unfreundlich ist. Direkte Begegnungen mit fremden Hunden auf der gleichen Straßenseite mag ich aber noch immer nicht. Und wenn ich liege darf sich mir bis auf Felix und Maja kein Hund von hinten nähern. Das mag ich überhaupt nicht und gehe sofort zum Angriff über. Durch meine Zeit auf dem Dachboden habe ich den Wahlspruch “Erst hauen, dann schauen”.

Ich lernte auch die Hundefreunde von Felix kennen und schloß ganz schnell das Herrchen von Asta und Trixi ins Herz, denn er hatte immer Leckerlies für mich dabei. Überhaupt hatten die Zweibeiner von Felix Hundefreunden fast immer Leckerlies mit; dadurch habe ich ganz schnell meine Angst vor fremden Zweibeinern verloren. Allerdings mußte ich als nächstes lernen, daß nicht jeder Mensch Leckerlies hat, sondern nur die, die auch einen Hund haben. Auch jetzt noch bekomme ich regelmäßig zu hören, daß ich nicht betteln soll, aber ich finde immer, es ist einen Versuch wert...
Und Besuch begrüße ich jetzt immer ganz fröhlich denn fast jeder streichelt mich und ist freundlich zu mir.

Nach acht Wochen hat Iris mich dann auf der Wiese hinter dem Deich das erste mal von der Leine gemacht. Zuerst fand ich das ein wenig beängstigend, aber dann habe ich entdeckt, wie toll es ist, in meinem eigenen Tempo zu laufen und auch einmal richtig rennen zu können!! Iris und Jürgen hatten völlig grundlos Angst, ich würde weglaufen - schließlich will ich bei meinem Rudel bleiben. Zur großen Freude und Überraschung meiner Zweibeiner komme ich meist ganz schnell angelaufen, wenn sie mich rufen. Die beiden sind dann immer richtig stolz auf mich.
Rennen mußte ich aber erst lernen, das hatte ich auf dem Dachboden doch nicht gelernt. Schwierig waren Kurven und Bremsen, da habe ich mich immer überschlagen.

Eine Zeitlang war ich in der Hundeschule des Hundesportvereins Kiebitzreihe. Dort sollte ich eigentlich lernen, was ein gut erzogener Hund so können muß. Aber die Autofahrt war einfach zu lange denn damals wurde mir beim Autofahren noch schlecht. Die ganze Woche hatten wir Autofahren geübt, und es ging auch schon besser, aber wenn wir zur Hundeschule gefahren sind, wurde mir wieder schlecht. Danach mochte ich dann wieder nicht ins Auto einsteigen. Und so richtig wohl habe ich mich mit den anderen Hunden auch nicht gefühlt zumal Felix nicht dabei war. Wir haben dann wieder Einzelstunden bei Antje Tilsner genommen.

Leider bin ich noch immer leicht gestreßt. Unsere Zweibeiner versuchen immer wieder mit mir zu Clickern, und das Geräusch macht mir auch nichts aus, aber wenn sie mir dann ein Leckerlie geben wollen weiß ich nicht was sie wollen und gehe lieber weg. Das war auch beim Agility so, das wir auf dem Platz des Tierheims probiert haben. Wenn ich nicht weiß was man von mir will bin ich getreßt und dann geht gar nichts mehr und ich will mich nur noch verstecken.
Ganz schlimm war der Dezember 2005, da sind wir in ein anderes Haus mit großen Garten gezogen. Die fremden Räume, die fremden Geräusche, das war schrecklich. Ich verstand nicht warum wir nicht in unserem Haus bleiben können wo ich mich sicher fühlte. Ich konnte nicht richtig schlafen und es hat zwei Monate gedauert bis ich mich an das neue Haus gewöhnt hatte. 
Ich brauche halt etwas länger als andere Hunde, aber ich hatte ja in meinen ersten Lebensjahren Streß für zehn Hundeleben, und Jürgen hatte mir bei meinem Einzug versprochen das ich ich alle Zeit der Welt habe.

Am 30. Dezember 2006 haben wir dann ein verspätetes Weihnachtsgeschenk bekommen: Maja.
Ich hatte ja schon einige Monate großes Interesse an Hündinnen die so groß wie ich oder kleiner sind. Wenn Gina oder Anni auf der anderen Straßenseite waren habe ich gefiept weil ich zu ihnen wollte. Und dann stand da plötzlich Sabine mit einem kleinen weißen Wuschel vor unserem Haus. Ich bin schwanzwedelnd zu ihr gegangen denn ich fand sie sofort nett und hatte überhaupt nichts dagegen das sie mit ins Haus kam. Das hat unsere Zweibeiner schon überrascht. Na, und nach einigen Tagen kam Maja immer wieder an und hat mich zum Spielen aufgefordert. Zuerst wußte ich nicht so recht wie das geht denn auf dem Dachboden habe ich Spielen nicht gelernt und Felix spielt auch nicht denn er hat es auch nicht gelernt, und draußen fühlte ich mich immer angegriffen wenn ein anderer Hund mit mir spielen wollte und den habe ich dann lieber verhauen damit er mich in Ruhe läßt. Aber Maja ließ nicht locker und jetzt kämpfen wir mit viel geknurre. Das macht Spaß. Und wir kuscheln auch mal zusammen, denn wir sind richtig dicke Freundinnen geworden.
 

Perry_und_Maja

Und nachdem Felix über die Regenbogenbrücke gegangen ist war ich einige Wochen sehr traurig. Er fehlte mir so sehr denn mein Leben hat eigentlich erst mit Felix begonnen. Meine ersten Jahre auf dem Dachboden und danach im Tierheim waren großer Streß und erst mit Felix und unseren Zweibeinern konnte ich Hund sein. Ich lernte buddeln, rennen und natürlich die große Welt kennen. Wir hatten Rituale wie abends zusammen auf dem Sofa liegen, aber alleine machte es keinen Spaß, und ich liege jetzt auf den gemeinsamen Plätzen so gut wie gar nicht mehr.
Zum Glück hatte ich noch Maja. Sie hat immer wieder versucht mich aufzuheitern, und mit mir zu spielen. Ganz alleine ohne anderen Hund wäre ich viel schwerer wieder aus meiner Trauer herausgekommen.
Unsere Zweibeiner sind mir jetzt sehr sehr wichtig geworden. Ich schmuse jetzt auch aktiv mit ihnen, drücke meinen Kopf an sie und singe Lieder beim Schmusen.

Inzwischen bin ich auch im Seniorenalter und lasse alles etwas geruhsamer und gelassener angehen. Meine Lieblingsbeschäftigungen sind fressen, auf der Terrasse liegen, mit meinen Zweibeinern schmusen, mit Maja spielen und Besuch begrüßen (immer in der Hoffnung das der Besuch mit gaaanz lange streichelt).

Daß ich ein wenig schwierig bin, sollte niemanden davon abhalten, sich einen Hund aus dem Tierheim zu holen. Meine Zweibeiner wurden vorher von den Pflegerinnen ganz genau über meine Vorgeschichte und Probleme informiert und wußten, was auf sie zukommt. Außerdem hätten sie mich jederzeit zurück bringen können, was sie zum Glück nicht getan haben. In den Tierheimen sind viele völlig unproblematische Hunde, die z.B. durch den Tod ihres Zweibeiners dort gelandet sind. Und bei Hunden wie mir sollte man nie vergessen wie viel Freude auch die Zweibeinern daran haben zu sehen, wie ich das Leben entdecke, und meine Zweibeiner meinen es sei ein Geschenk mich auf meinem Weg in ein normales Leben begleiten zu können.

Perry

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